Sexismus im Alltag – Manchmal subtil und kaum bemerkbar, aber nicht folgenlos


Am Abend des 13. November hatte der Bayerische Landesfrauenrat (BayLFR) zum Fachgespräch im Y-Pavillon auf dem Campus der Hochschule Fresenius geladen. Über 100 Frauen und einige Männer waren gekommen, um sich über das Thema „Den Sexismus – ERKENNEN. BENENNEN. BEENDEN.“ zu informieren.

BayLFR-Präsidentin Monika Meier-Pojda begrüßte die Gäste und kam gleich zur Sache: „Sexismus im Alltag ist ein Thema, das uns alle angeht, wovon wir alle betroffen sind.“ Aber, so Meier-Pojda weiter, sie sei sicher, dass „jede und jeder eine andere Definition für den Begriff SEXISMUS im Kopf hat. Wer genau hinschaut und hinhört, wird die unterschiedlichsten Interpretationen finden. Also, was ist Sexismus im Alltag?“

Um dies genauer zu ergründen, bat sie die erste Input-Geberin, Annahita Esmailzadeh, IT-Managerin und Bestseller-Autorin, ans Rednerpult. Zum Thema Sexismus hat sie eine dezidierte Meinung. Er zeige sich in allen gesellschaftlichen und institutionellen Strukturen Deutschlands: Die ungleichen Gehälter, die gläsernen Decken und die männlich dominierten Buddy-Netzwerke. Sexismus sei, so Esmailzadeh weiter, deshalb problematisch, weil er Diversität und Chancengleichheit hemme und Unternehmen nicht nur Talente kosten würde, sondern auch geringere Innovation und höhere Fluktuation zur Folge hätte.

Was tun? Auf der individuellen Ebene forderte sie mehr persönlichen Mut. Es sei wichtig, sexistische Kommentare nicht zu ignorieren, sondern nachzufragen, wie die Bemerkung eigentlich gemeint sei. In Unternehmen sollten Anti-Sexismus-Richtlinien und anonyme Feedback-Kanäle installiert werden. Und auf der gesellschaftlichen Ebene müssten Normen und Strukturen verändert werden, also den Sexismus früh in Schulen, Universitäten und der Öffentlichkeit thematisieren. Von der Politik fordert sie nicht mehr und nicht weniger „strengere Gesetze und Vorschriften gegen Diskriminierung und Belästigung.“ Denn „Sexismus zu unterbinden, ist eine gemeinsame Verantwortung, die Mut und Konsequenz erfordert.“

Der nächste Input-Geber war der Soziologie-Professor Dr. Carsten Wippermann, der das Thema mit den wissenschaftlichen Erkenntnissen seiner Studie „Sexismus im Alltag“ untermauerte. Doch bevor er auf die Ergebnisse der Pilotstudie zu sprechen kam, machte er einen kleinen Exkurs in die Video- und Gamer-Szene. Dort sei der Frauen-Anteil zwar über die Jahre stark angestiegen, aber – entgegen der Erwartung –, dass dieser Markt auf den Errungenschaften der Emanzipation stehe, sei genau das Gegenteil der Fall. Denn, so Wippermann, die Darstellung von Frauen sei extrem sexistisch. Am Beispiel von Lara Croft aus Tomb Raider skizzierte er, wie die weiblichen Avatare ausgestattet sind: „Sie tragen sehr wenige und enge Bekleidung, um eine starke Sexualisierung zu erzeugen. Die männlichen Helden kämpfen in voller Rüstung, die Heldinnen ziehen leicht bekleidet ins Schlachtfeld.“ Lara Croft würde mit übergroßem Busen dargestellt und die Waffenhalterung erinnere an Strapse. Die Übersexualisierung bestimmter Körperteile repräsentiere eine verheißungsvolle Ultraweiblichkeit. Die Frau sei die Gespielin, das Opfer, das beschützt werden müsse.

Bezeichnend sei, so Wippermann weiter, dass nicht nur in den Spielen, sondern auch unter den interaktiv Spielenden Vorurteilsstrukturen in all ihren Facetten aufträten. So wären die spielenden Männer häufig der Meinung, dass „Frauen attention whores, also Aufmerksamkeitshuren sind, die nur spielten, um die Aufmerksamkeit von den Männern zu erhalten“.

Nach den Einblicken in die Gamer-Szene wandte sich Wippermann der Wissenschaft zu. Mit der Pilotstudie „Sexismus im Alltag“ wollten er und seine Mitarbeitenden herausfinden, ob, wo und in welcher Form die Menschen Sexismus beobachten oder selbst erfahren hätten. Befragt haben sie über 2.000 Menschen ab 16 Jahren. „Ein entscheidendes Element der Studie war, dass wir keine wissenschaftliche Definition von Sexismus vorgaben. Wir wollten wissen, was die Menschen im Alltag unter Sexismus verstehen. Wie sie Sexismus wahrnehmen und deuten.“

Das Ergebnis war erschütternd: Obwohl Sexismus individuell unterschiedlich erlebt wird, gaben 63 % der befragten Frauen und 49 % der Männer an, schon sexistische Übergriffe erlebt zu haben. Interessant hier: Sexismus gegenüber Männern kommt in aller Regel von Männern.

Wippermanns Fazit: „Alltäglicher Sexismus ist ein Massenphänomen, in allen Schichten und Klassen, vor allem von Männern gegenüber Frauen, aber auch von Frauen gegenüber Männern und auch Angehörigen von LGBTIQ. Es geht um die Wahrnehmung und damit um Macht. Man muss bei den Tätern ansetzen, aber die Opfer dürfen nicht aus dem Blick geraten. Sie würden nämlich erneut zum Opfer gemacht.“

Die Perspektive der Opfer nahm auch Prof. Katharina Dahm ein. Die Juristin lehrt an der Hochschule Mainz Arbeits- und Sozialrecht und Wirtschaftsprivatrecht und ist seit 2022 zentrale Gleichstellungsbeauftragte und Sprecherin der LaKoF (Landeskonferenz der Hochschulfrauen* Rheinland-Pfalz), und damit Sprecherin aller zentralen Gleichstellungsbeauftragten der Hochschulen in Rheinland-Pfalz. Ihr Steckenpferd ist das Thema „Diskriminierung am Arbeitsplatz“.

Dahm: „Das Gesetz verbietet jede Form der sexuellen Belästigung. Aber die Beweispflicht liegt bei den Opfern und das ist ein Problem. Zudem sind viele Gleichstellungsbeauftragte als Ansprechpersonen für die Thematik nur ehrenamtlich tätig und auch nicht geschult. Diese Gleichstellungsarbeit muss dringend professionalisiert werden. Weiterhin brauchen wir für Diskriminierungen ein Verbandsklagerecht, um die Durchsetzung der Rechte im bestehenden Arbeitsverhältnis rechtlich zu erleichtern.“

Einig waren sich alle Mitstreitenden auf der Bühne, dass in der Gesellschaft eine zunehmende Normalisierung des Sexismus‘ stattfinde. Um Sexismus im Alltag zu BEENDEN; brauchen DIE FRAUEN DIE MÄNNER AN IHRER SEITE. So werden gesellschaftliche Probleme gelöst!
 

Wir sind ein Zusammenschluss von 58 Landes-Frauenverbänden und Frauengruppen gemischter Landesverbände, sind überparteilich, überkonfessionell und unabhängig und vertreten insgesamt knapp vier Millionen Frauen in Bayern. Seit unserer Gründung 1973 tragen wir zur Verwirklichung von Gleichberechtigung und Chancengleichheit von Frauen in Staat, Wirtschaft und Gesellschaft bei.